Braunschweig (epd). Ein überlebensgroßer Martin Luther schneidet mit einer riesigen Schere die Fäden einer Marionette durch. Die angemalte Styropor-Figur wurde anlässlich des 500. Reformationsjubiläums erstmals für den Braunschweiger Karneval entworfen. Sie wird auf einem eigens gestalteten Motiv-Wagen entlang der feiernden Jecken bei Norddeutschlands größtem Karnevals-Umzug, dem "Schoduvel" in Braunschweig, rollen.
In Niedersachsen ist diese Aktion der Karnevalisten wohl einmalig. In den Karnevals-Hochburgen in Damme, Osnabrück, Ganderkesee oder Hannover sei nichts Derartiges geplant, teilten die jeweiligen Komitees mit. In Braunschweig wollen die Narren am 26. Februar entlang der sechs Kilometer langen Strecke 500 Kilogramm Luther-Bonbons von dem Wagen aus in die Menge werfen. Rund 250.000 Besucher werden zum Umzug durch die Innenstadt erwartet.
Der Künstler Mathias Rosenbusch beschreibt die Idee zu seinem Entwurf so: "Mit der Schere befreit Luther den Menschen symbolisch von seinen damaligen Ängsten vor Tod und dem Ablasshandel." Diese Todesfurcht und Gier wird durch eine fahlgraue, goldgeschmückte Skelett-Hand dargestellt, die die Fäden der Marionette festhält. Bewegt sich der Wagen, erklingt durch die hölzern klappernden Glieder der Puppe ein fast gespenstisches Geräusch.
In den vergangenen anderthalb Monaten hat der Künstler in seiner Werkstatt aus Styropor-Blöcken die Figur Luthers ausgesägt und angemalt. Der Wagen ist fast fertig. Nur die von den Jecken ausgewählten fünf "Thesen der Gegenwart", in Anlehnung an Luthers 95 Thesen, müssen noch an den Seiten angeklebt werden. So lautet eine These "Endlich frei für Narretei". Ein weiterer Schriftzug verkündet "Endlich frei für Toleranz".
Bundesweit wird es auch in den Hochburgen Düsseldorf und Mainz weitere Reformations-Wagen geben: In Düsseldorf baue der Künstler Jacques Tilly für den Rosenmontags-Umzug einen Motivwagen, der das rheinische Motto zum Reformationsjubiläum "vergnügt, erlöst, befreit" launisch umsetze, sagte ein Sprecher der evangelischen Kirche in Düsseldorf. Details zu den Motiv-Wagen würden aber traditionsgemäß erst in der Woche vor Rosenmontag verraten. Beim Mainzer Fastnachtsumzug wird ein Wagen mit einem mehr als drei Meter großer Luther aus Styropor, musikalisch begleitet von einem Posaunenchor, mitfahren.
In Braunschweig hat Künstler Rosenbusch gemeinsam mit Vertretern der evangelischen Kirche an dem Konzept für den Motiv-Wagen gefeilt und manche Ideen wieder verworfen. Dem braunschweigischen Landesbischof Christoph Meyns zufolge zeigt der Themenwagen, dass die reformatorischen Gedanken nach wie vor eine große Bedeutung für die Gesellschaft haben. Die Veranstalter leisteten so auf humorvolle Art und Weise einen inhaltlichen Beitrag zum Reformationsjubiläum.
Braunschweigs oberster Karnevalist, Zugmarschall Gerhard Baller, zeigt sich zufrieden mit dem Endergebnis und ist überzeugt, dass der Wagen das Publikum überraschen wird. Mit den aktuellen und eigens aufgestellten Thesen wie "Weltoffenheit" oder "Nächstenliebe" sei allerdings auch eine Art Mahnung verbunden, betont er. Die Menschen, die derzeit in Freiheit lebten, müssten diese auch verantwortungsbewusst wahrnehmen. Auch die Kirchen seien dazu aufgefordert und sollten moralisches Handeln noch stärker von der Politik einfordern. "Die Reformation geht weiter."
Der Braunschweiger "Schoduvel" startet am 26. Februar um 12.40 am Braunschweiger Europaplatz.
Charlotte Morgenthal/epd